Freitag, 7. Dezember 2007

Das „Milizgewehr“ als Symbol der Demokratie?

Die Weltwoche bleibt auch diese Woche (Ausgabe Nr. 49.07) ihrem Ziel treu, die freiheitlichen Werte der Schweiz gegenüber dem inneren Feind zu schützen. Obwohl im Bewusstsein der hohen Wähleranteile der SVP wähnt man sich noch immer in der Opposition gegenüber der Linken, die das Land nicht nur in die EU, sondern vollends ins Verderben führe. So gibt Hans Widmer dem Leser einen kurzen und einseitigen Abriss über die Geschichte der Schweiz, in dem die „Kultur der Selbstbestimmung“ gepriesen und für alle doch so positiven Errungenschaften, wie etwa Freiheit, Frieden, hohe Löhne und gar Umweltschutz, ursächlich ins Feld geführt wird. Soweit also nichts neues: Konservativismus fern jeglicher Selbstkritik intellektuell aufgepeppt, in der dieswöchigen Ausgabe z.B. durch Zitate von Kant und Habermas.

Die „Kultur der Selbstbestimmung“ sei jedoch einmal mehr in akuter Gefahr. Diesmal durch die aktuelle Debatte über den Ort der Verwahrung der Militärwaffe – privater Abstellschrank oder Zeughaus? Denn, wie Roger Köppel in seinem Tagebuch ausführt: „versinnbildlicht sich das demokratische Prinzip, das im Ernstfall verteidigt wird, [im Milizgewehr].“ Die Logik der Argumentation ist leicht nachzuvollziehen: Indem die Militärwaffe zum Symbol „des demokratischen Prinzips“ hochstilisiert wird, unterminiere die Linke mit ihrem Versuch dem schweizer Mann seine Waffe zu entreissen nicht nur dessen Verantwortung, sondern überhaupt die fundamentalen Werte des Landes. Und dies sei natürlich erst der Anfang, denn so Köppel: „Sind erst einmal die Waffen eingesammelt, drohen weitere Entmündigungen.“

Für Köppels Mitstreiter Markus Somm ist denn auch klar, dass der Entzug der „Milizwaffe“ mehr ist, als eine vermeintlich verfehlte linke Initiative zum Schutz der Bürger, sondern ein weiterer Schritt in Richtung: „Abschaffung der Armee, Zerschlagung der Miliz, schlanke Einpassung der Schweiz in das EU-System, Nato-Kompatibilität einer auf Auslandeinsätze getrimmten Armee.“

Die Lektüre der Artikel über die Frage nach dem Aufbewahrungsort der „Milizwaffe“ zeigt einmal mehr das Gut-Böse-Schema, mit dem die Weltwoche ihre Leser Woche für Woche zu indoktrinieren sucht. Die Argumentation liegt dabei auf einer für den Leser nachvollziehbaren Ebene, wobei die vermeintlich Schuldigen jeweils klar genannt werden. Die Linken, der Staat, die Ausländer usw. Absichtlich verdeckt werden dabei oft die wirklichen Probleme. Oder es werden fiktive Zusammenhänge geschaffen, um eine Problematik, wie die hier besprochene Frage bezüglich dem Verwahrungsort der Militärwaffe, bewusst politisch zu instrumentalisieren. So kann auch mal das Sturmgewehr zum Sinnbild der Selbstbestimmung werden, eine Aussage, die, wie man hoffen kann, den aufgeklärten Leser höchstens peinlich berührt.

Hat aber die Argumentation dafür, die Militärwaffe als Sinnbild schweizer Werte zu präsentieren durchaus noch etwas belustigendes, so geht der Artikel Grüne Gewalt von Urs Paul Engler leider weit über die Grenzen des Ertragbaren hinaus. Die Tat des Rekruten Luis W., der am Hönggerberg eine junge Frau mit seiner Militärwaffe erschossen hat, wird darin dazu missbraucht, um die Grüne Partei und andere linke Organisationen als potentielle Gewalttäter zu präsentieren. Diese und nicht einfach die Militärwaffen bildeten das „grösste Risiko der Schweiz“. Einen Fall, wie den Mord am Hönggerberg, der Medien und Menschen bewegt, dessen Motive jedoch ungeklärt und mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht politisch sind, dazu zu verwenden, seine politischen Gegner zu diffamieren, ist einerseits eine einfach gestrickte, andererseits aber auch gefährlich populistische Strategie. Dass die Weltwoche, obwohl allgemein als reaktionäre sowie SVP nahe Zeitschrift bekannt – die jedoch noch immer ein gewisses journalistisches Nivea für sich beansprucht –, einen solchen Artikel abdruckt, sollte einem durchaus zu Denken geben. Dass solche Artikel Leser finden natürlich um so mehr.

Donnerstag, 6. Dezember 2007

"Schuss frei" für freie Bürger

Die Weltwoche frönt diese Woche der waffenstarren Heimat als Garant für Freiheit und Wohlstand.

"Was zählt, ist das Vertrauen in die Bürger, die ihre Waffen niemals gegen die Republik erheben, deren Gesetzgeber sie ja selber sind", holt Roger Köppel schwungvoll aus.

Gleich daneben berichtet er von "einem befreundeten Russen", der meine, dass Putin es gar nicht so schlecht mache. Der Meister selbst enthält sich der Stellungsnahme. Die hehren Prinzipien gelten wohl nur innerhalb des eigenen Gärtchens (welches auf den Seiten 12f. und 36f. gehörig glorizifiert wird).

Zudem gilt das Vertrauen des Staates offenbar hauptsächlich Männern und nur wenigen Frauen. Diese Stützen der Republik dürfen zudem an keinerlei Gebrechen leiden (sonst werden sie ausgemustert) und auch nur eine bestimmte Gesinnung haben (die anderen haben nämlich den Militärdienst aus Gewissensgründen verweigert und leisten Zivildienst). Der Staat vertraut also den gesunden, aufrechten und wohldenkenden (Arno Breker-haften) Schweizern.

Donnerstag, 29. November 2007

Der Dolchstoss.

„Der Dolchstoss wird nicht so schnell vergessen werden“, schreibt Roger Köppel in seinem jüngsten Tagebuch. Was geschah? Ueli Maurer (SVP) hat Ursula Gut (FDP) einstmals zu einem Regierungsratssitz verholfen. In der jüngsten Ausmarchung um den zweiten Zürcher Ständerratssitz rief nun aber dieselbe Ursula Gut zur Wahl von Verena Diener (GLP) auf.

Dies wird als symptomatisch dargestellt für das Problem der FDP: nämlich das sie ein „Frauenproblem“ hätten. Es „wimmle (…) am rechten Zürichseeufer von linken FDP-Frauen, die sich für Bildungsausgaben, gesellschaftspolitische Ausgaben und ökologische Ausgaben einsetzen, nicht aber dafür, worum es in der FDP eigentlich gehen sollte.“

Linke, ausgabenfreudige Frauen – darüber wurde an dieser Stelle schon einmal berichtet – verhinderten also den Wahlsieg von Ueli Mauerer, indem sie ihm in den Rücken fielen. Und zwar mit einem Dolch, frei nach der bekannten Metapher. Nur, was besagt die den eigentlich? Der Dolchstoss, vor allem in einem politischen Zusammenhang, verweist auf die sogenannte „Dolchstosslegende“ (wie man sich auch leicht durch nachgooglen des Begriffs „Dolchstoss“ überzeugen kann). In Wikipedia heisst es darüber: „Die Dolchstoßlegende war eine von führenden Vertretern der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) miterfundene Verschwörungstheorie, die die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie abwälzen sollte. Sie besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten.“

Köppels Vergleich passt somit ganz gut: linksgesinnte FDP-Frauen / Sozialdemokratie verhindern den Wahlsieg / den Sieg. Nur ist es leider, der Metapher nach, eine Legende.

Die Legende soll die Schuld an einer Niederlage abwälzen. Auch dieser Aspekt der Metapher kennt Köppel, aber verdreht sie wieder nach eigenem Gusto: „Das Schlimme (…) ist, dass die Goldküstenfreisinnigen Diener nicht aus Überzeugung, sondern aus Abneigung gegen den bürgerlichen Ticketpartner wählten, weil sie ihn für Niederlagen verantwortlich machen, die sie selber zu verschulden haben.“ (meine Hervorhebung). Anders als in der Legende führt nicht der Dolchstoss zur Niederlage, sondern die Niederlage zum Dolchstoss.

Dass der studierte Historiker Köppel bewusst auf die Dolchstosslegende anspielt, scheint damit ziemlich deutlich. Was bezweckt er damit, dass er die Wendung gegen den Strich bürstet?Es wurde an dieser Stelle schon mal Köppels eigensinniges Geschichtsverständnis angesprochen. Oder ist es bloss eine etwas gesuchte Weise, seinem Tagebucheintrag etwas mehr Farbe zu geben?

Nicht zuletzt wird aber hier auch vorgeführt, wie anspielungsreich Sprache, insbesondere Wendungen und Metaphern, sein können. Dafür muss man Köppel nun fast wieder danken, variert doch in der selben Ausgabe Mörgeli mit heftigem Augenzwinkern das in der Weltwoche oft gelesene Sprüchlein, dass „schwarze Schafe“ diejenigen meine, deren Wolle man nicht brauchen könne, und sich die berühmt-berüchtig gewordene Metapher darauf und nur darauf beziehe.

Donnerstag, 22. November 2007

Der Schaukampf

Wie schön, dass es so klare Trennlinien gibt und bei jedem Problem schwarze und weisse Schafe.

Der dieswöchige Schaukampf, moderiert von Philipp Gut und Yvonne Staat („Gut“ und „Staat“, was für ein schöner Zufall. Oder schreiben die Autoren der Weltwoche aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen gegen ihren eigenen Namen an? (die Psychoanalyse spricht ja gerne vom Vatermord. Aber das war schon vor zwei Wochen Thema)), findet statt zwischen weltfremden Bildungsbürokraten und der an der Schulfront stehenden Volksschullehrer. Mit einem „Triumpf des Unsinns“ endet der Kampf, vor dem er eigentlich begonnen hat, wie die bestürzten Leserinnen und Leser aus dem Titel entnehmen.

Vom sachlichen Gehalt des Textes will ich nicht sprechen. Es werden einige ernstzunehmende Probleme angesprochen. Auffällig ist dabei aber, dass eine Opposition den Artikel durchzieht, der mit einigem rhetorischen Aufwand aufgebauscht wird, damit vor allen Argumenten die Schuldigen schon benannt sind. (Ähnliches wurde schon an einem anderen Artikel beobachtet)

Es stehen sich nämlich entgegen, auf der einen Seite die „Bildungsbürokraten und didaktische Theoretiker“, „Gleichheitsbotschafter der Uno und Bildungsbürokraten“, „Bildungsbeamte“, die „Akademisierung“, die „Reformen, Lehrmittel und didaktische Schlagwörter“, die „Didaktiker und Bildungsbürokraten“, „Bildungstheoretiker“ und wieder einmal die „Bildungsbeamte“. Auf der anderen Seite die „Praxis“, die „Praktiker an der Front“, die „Bedürfnisse der Basis“, die „Allrounder“, die „Basis“ und nochmals die „Basis“.

So werden angesichts von falschen Rezepten Rezepte überhaupt (Theorie, Didaktik) und deren Institutionen (Bürokratie, Beamte) schlechtgemacht. Endet das nicht in einer Dorfschullehrer-Romantik à la Albert Anker?

Freitag, 16. November 2007

Wer oder was ist die "islamische Bombe"?

„Es war ein wohlkalkulierter Appell an die Urängste des Westens.“ Mit diesem Satz beginnt der Artikel „Die islamische Bombe“ von Urs Gehriger. (Weltwoche vom 15.11.2007, S. 18) Er beschreibt eine Aussage der pakistanischen Oppositionspolitikerin Benazir Bhutto; doch er benennt gleichzeitig auch, was Gehriger in seinem Artikel selbst tut.

Ist es Zufall, journalistische Ungenauigkeit oder Absicht, dass im Titel, an Stelle des im Text verwendeten Begriffes der „islamistischen Atombombe“ lediglich noch „islamische Bombe“ steht? Platzgründe können dafür nicht den Ausschlag gegeben haben. Und „Die islamistische Atombombe“ wäre genau so prägnant und knackig gewesen. Oder etwa doch nicht? Während „islamisch“ als Adjektiv verwendet wird, um Phänomene wie z. B. die „islamische Zeit“, die „islamische Kunst“ etc. in Zusammenhang mit einer ganzen Religionsgruppe zu bringen, hat man das Wort „islamistisch“ gebildet, um „terroristische“ Gruppierungen, welche von sich sagen, dass sie im Namen des Islam handelten, zu charakterisieren.

Der Artikel von Gehringer will der Frage nachgehen, ob die Ängste, welche in Verbindung mit den Unruhen in Pakistan in den letzten Tagen in der Presse mehrfach angesprochen wurden, die Ängste, dass die Pakistanischen Atombomben in die Hände einiger „fanatischen Geister“ geraten könnten, berechtigt sind. Durch die im Titel vorgenommene Umwandlung des Ausdrucks „islamistisch“ in „islamisch“ wird dem Leser aber zugleich, wenn auch unmerklich, mitgeteilt, dass die Bedrohung nicht bloss von gewissen Terroristen ausgeht, sondern von einer ganzen Religionsgemeinschaft. Die im Artikel thematisierten Ängste vermischen sich subtil mit den durch den Stereotyp des aggressiven, expandierenden Islams geschürten Ängsten.

Man kann sich auch fragen, warum solche – gewollten oder ungewollten – Ungenauigkeiten zu dem Zeitpunkt in einer Zeitschrift auftauchen, die bekanntermassen der Schweizerischen Volkspartei nicht abgeneigt ist, zu dem eben diese Partei eine Initiative mitlanciert hat, die den Bau von Minaretten in der Schweiz verhindern soll. In der Begründung der Initianten für ihr Begehren ist zumindest genau der oben angesprochene Stereotyp herangezogen, und er wird weiter genährt, wenn da steht: „Das Minarett als Bauwerk hat keinen religiösen Charakter; es wird weder im Koran noch in anderen heiligen Schriften des Islam auch nur erwähnt. Das Minarett ist vielmehr Symbol jenes religiös-politischen Machtanspruchs, der im Namen behaupteter Religionsfreiheit Grundrechte anderer - etwa die Gleichheit aller, auch beider Geschlechter vor dem Gesetz – bestreitet […]” (www.minarett.ch, am 15.11.2007).

Die Trägerrakete auf dem, den Artikel illustrierenden Bild, welche eine der vermeintlichen ”islamistischen Atombombe[n]” darstellt, gleicht dann auch in verblüffender Ähnlichkeit der graphisch vereinfachten Minarettdarstellung, die auf der Startseite der von der Initiative eingerichteten Hompage zu finden ist.

Donnerstag, 15. November 2007

Funktionalisierung durch Titel und lead oder die ideologische Brille.

Der mit „Abschied vom Modell des Mitleids“ übertitelte Artikel von Alain Zucker (WW Nr. 46.07) verspricht die übliche Kost. So heisst es im lead: „Während im Schweizer Sozialmissbrauchswesen echte Reformen nicht einmal im Ansatz diskutiert werden, hat in Amerika ausgerechnet der demokratische Präsident Bill Clinton die härteste und einschneidenste Reform der Sozialhilfe durchgesetzt. Der Erfolg ist durchschlagend.“

Es geht mir nun nicht darum, den Text inhaltlich zu diskutieren. Über Modelle und Gegenmodelle von Sozialhilfe müsste mit Fakten gestritten werden. Ich zeige lediglich den Kontrast zwischen Titel und Einleitung und dem Artikel auf.

"Der Erfolg ist durchschlagend." Er ist durchschlagend vor allem dank staatlichen Massnahmen (welche die Weltwoche bekanntlich scheut wie der Teufel das Weihwasser). So heisst es im Text: „Eine wichtige Rolle spielten auch neue positive Arbeitsanreize, die die Reformer als flankierende Massnahmen für Arbeitstätige mit tiefen Einkommen lanciert hatten: Steuergutschriften, ein Ausbau der Kleinkinderbetreuung, je nach Gliedstaat Subventionen für die Krankenversicherung. Die Reform war keine Sparübung, sondern eine Art Umerziehungsprogramm.“

Und Ron Haskins, einer der Initianten des Programms, „redet [...] heute wie einige seiner Gegner von früher, wenn er die Lösungen der Zukunft beschreibt. Einerseits will er mit begleitenden Stützmassnahmen jene Frauen erreichen, die bisher nicht in der Lage waren, einen Job zu behalten. [...] Andererseits fordert er Weiterbildungsprogramme für alleinerziehende Mütter, frühe Schulintegration von jungen Kindern, eine Ausdehnung der Subventionen für Arbeitstätige [...]“.

Es geht also um: Subventionen, noch mehr Subventionen, Kinderkrippen, Integrationsprogramme, Weiterbildungsprogramme. Oder wie der Text sagt: die klassischen „von der Linken so geschätzte staatliche Unterstützung“.

Haskins, schliesst der Text, „redet heute von der ‚Ironie der Sozialhilfereform’: ‚Erst mussten wir das konservative Prinzip der Selbstverantwortung einführen, damit die von der Linken so geschätzte staatliche Unterstützung auch wirklich etwas bringen kann.’“

Selbstverantwortung ist bekanntlich nicht ein konservatives, sondern in liberales Prinzip. Die liberale Reform war aber schon zu Beginn mit flankierenden sozialen Massnahmen ergänzt. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass diese nicht genügten, und die Initianten rufen nach mehr.

Der Text beschreibt also letztlich ein linksliberales Programm. Titel und lead im üblichen Weltwoche-sound daherkommend, funktionalisieren aber den Artikel für ihren eigenen Zweck. Man fragt sich, wer hier wohl alles durch die immergleiche ideologische Brille sieht.

Sonntag, 11. November 2007

"Schweiz isst Wurst" (Weltwoche Nr. 45, 8. Nov. 2007, S.38)

Wie grotesk – ja geradezu burlesk ist die Mythologisierung eines Fleischderivats, welche in den Gehirnen (lat. cerebrum / cerebellum = ital. Cervellata = helvet. Cervelat) der Schweizer eine sinn- und zugleich identitätsstiftende Funktion herbeirufen sollte.

In Thomas Widmers Artikel geht es um die Rückkehr zu bewährten Werten und Traditionen, um Kultur und Geschichte unseres Landes – es geht um die Wurst.
Was treibt Herr und Frau Schweizer dazu an, mehr Wurst zu essen? Ist es das feine Raucharoma? Das herzhafte Knacken beim Reinbeissen oder gar die phallische Form? Oder ist es das Verlangen nach alten Werten und lang vergessenen Traditionen, welches beim Wurstverzehr gestillt wird?

Thomas Widmer ist der Meinung, dass die Wurst – ob Klöpfer, Bratwurst oder Wienerli – ein identitätsstiftendes Moment in sich birgt. Inwiefern kann aber die Wurst diese Funktion erfüllen?

Dass der Wurstkonsum in den letzten Jahren gestiegen ist, hat doch vielmehr damit zu tun, dass die Schweizer und Schweizerinnen wohl eher das Verlangen nach Gesellschaft haben. Wer brät sich zuhause schon einen Klöpfer oder eine Bratwurst? Die Würste werden vielmehr beim Grillieren auf dem Balkon mit Freunden, beim Zuschauen eines Fussballspiels, an kulturellen Anlässen und an Feiertagen wie dem Nationalfeiertag verzehrt.

Die Wurst wird im Dienste der Herstellung und Erhaltung von Gruppenidentität von Widmer zu Unrecht instrumentalisiert.

Freitag, 9. November 2007

Zur Schiefheit des historischen Vergleichs. Ein Beispiel.

In Roger Köppels Tagebuch erfahren wir diese Woche: „Historische Vergleiche sind immer schief [...].“ Ob diese allgemeine Behauptung der Wahrheit entspricht sei dahingestellt. Eine kritische Haltung gegenüber oftmals vorschnell herangezogenen historischen Beispielen ist sicher eine zu begrüssende Haltung. Dass aber zumindest einige historische Vergleiche in hohem Masse schief sind, hat Köppel in einem seiner letzten Tagebucheinträge ja selbst hinreichend demonstriert, als er die "SVPler" mit den "jüdischen Gewerbler der dreissiger Jahre in Deutschland" verglich. Ein Kommentar dazu scheint nicht nötig. Zumal es sich wohl eher – wie so oft in dieser Rubrik – um eine offensichtliche Provokation, denn um einen wirklichen Versuch des Verstehens eines Sachverhalts handelt.

Leser schreiben.

Flugs verlinkt im Weltwoche-Forum (und hier) folgen schon die ersten netten Kommentare, die ganz aufschlussreich sind und uns nur bestätigen:

So merkt ein Herr "Bänni" an:
"Von Weibern hast Du offensichtlich nicht den blassesten eines trüben Schimmers; und dass Du lieber liest als lebst, kaufe ich Dir sofort ab, scheinst Du doch während Deiner Marx-Lektüre nach Strich und Faden verstorben zu sein.
Mit allervitalsten Grüssen,
Bänni"

Eine Frau "Gutemine" meint etwas später "die Frauenträume des Single-Köppel und hobbyesoterischen Welterklärers möchte man sich dann doch nicht entgehen lassen :-))"

Herr "Proletarier" weiss: "da hat sich offenbar eine weitere selbsthilfegruppe gebildet, die sich gegenseitig die bestehenden vorurteile bestätigt. organisierte realitätsverweigerung unter durchsichtigem "intellektuellen" mäntelchen." Aber mahnt an, man solle uns "die gruppenonanie [nicht] vermiesen"

"Zarathustra" schliesslich glaubt, wir nähmen "die Völkische Woche wohl etwas allzu ernst, indem man so tut, als ob es sich bei diesen ’tintenklecksenden Lohnbuben’ (© Turi) um ernstzunehmende Journalisten handelt. Diesem notorisch Werte umkehrenden Blättchen sollte man eher satirisch begegnen. Und solange die Luzerner Woche eine höhere Auflage hat als die völkische, solange droht keine Gefahr."

Entweder nimmt man gar nicht ernst, was in der Weltwoche steht, sondern steht leicht belustigt darüber. Oder aber wir werden gleich mal auf einer persönlichen Ebene angegriffen, wobei man sich zugleich gutmütig gibt: zu Ende wird freundlich (vital!) gegrüsst und man will uns gerne auch unser 'Vergnügen' lassen. Schliesslich weiss man ja schon, was Sache ist, und braucht sich gar nicht irgendwelchen Argumenten zu stellen. Kurz: Wohlige Selbstgerechtigkeit.

Alles in allem sieht man sehr schön, wie die gängigen Argumentationsstrategien der Weltwoche ihren LeserInnen in Fleisch und Blut übergegangen ist.

„Zwischen Anmassung und Aufopferung“ (Weltwoche, 8. Nov. 07, S. 62-64)

In diesem Artikel werden drei Bücher vorgestellt, deren Ziel es in erster Linie ist, Lösungsvorschläge für die Behebung der Armut in Afrika und Drittweltländern zu liefern. Ob der Verfasser des Artikels, David Signer, die Thesen der drei Autoren Sachs, Easterly und Collier sowie deren Anliegen adäquat wiedergibt, mag dahingestellt sein. Hervorgehoben und in Frage gestellt werden soll hier vielmehr die – übrigens das gesamte Magazin durchtriefende – Tendenz zur Polarisierung in linke und rechte Gesinnung.

Es lohnt sich dabei, das zu untersuchen, was zuerst ins Auge springt: Titel mit Untertitel, Illustration, Hervorhebungen im Text. In ihnen kommt am deutlichsten zum Ausdruck, welchen Eindruck der Artikel auf die LeserInnen machen soll, was die Absicht und der Beweggrund des Verfassers (bzw. der Redaktion) sein soll, kurz: welche Wirkung der Artikel haben soll.

Im Untertitel wird „nach Gründen für das Elend in Afrika“ gefragt und gesagt, dass drei „renommierte Ökonomen“ in ihren Antworten „zu ganz unterschiedlichen Schlüssen“ kommen. Schön und gut. Doch was Signer nun mit Bezug auf die drei Ökonomen vorführt, das sind keine „Gründe für das Elend in Afrika“, sondern Lösungsvorschläge, um genanntes Elend zu beheben. Da steht auf der einen Seite Sachs’ „These“, Afrika sei nur mittels finanzieller Hilfe aus der Misere zu ziehen. Von der anderen Seite her trotzt Easterlys „Antithese“, dass jegliche finanzielle Entwicklungshilfe die Lage nur verschlimmere. Die Gegensätze überbrückt die „Synthese“ Colliers, es brauche sowohl Geldhilfe, als auch andere Massnahmen. Ohne tiefer in Signers Darstellung der sich dialektisch gegenüberstehenden Einsichten eintauchen zu müssen, ist offensichtlich, dass damit kaum „Gründe“ für die Armut Afrikas aufgezeigt werden. Selbst dort wo Signer meint, Gründe anzugeben, handelt es sich kaum um Erklärungen des Ursprungs von Armut: Es werden weder innere Dispositionen, noch äussere Ursachen verortet, die das Entstehen der Armut bedingt haben mögen. Dazu ein Beispiel aus dem Artikel: „Der springende Punkt ist für Sachs die Armutsfalle: Armut selbst ist die Hauptursache für Armut.“ Was soviel erklärt wie: Die Krümme der Banane ist die Hauptursache für die Krümme der Banane. – Zwischen Untertitel und Inhalt liegt ein unüberbrückbarer Graben.

Kommen wir auf die genannte Polarisierung zurück. Der Artikel wird von zwei Hervorhebungen durchbrochen, wovon uns die erste interessiert. Sie lautet: „Die klassische linke Erklärung – ‚Sie sind arm, weil wir reich sind’ – ist heute weniger denn je plausibel.“ Es sei nochmals der Argumentationsgang Signers vergegenwärtigt: Er fragt nach Gründen für die Armut in Afrika, gibt aber weder selbst, noch in seiner Darstellung der drei ökonomischen Sichtweisen eine Erklärung dafür, sondern bringt lediglich deren Lösungsansätze zur Schau. Wir warten also immer noch auf Erklärungen, bis uns Signer plötzlich und endlich die „klassische linke“ auftischt. Und bei diesem amuse bouche bleibt es dann leider auch. Ein weiterer Graben tut sich auf, oder geradezu ein Loch im Bauch. Verständnislos blicken wir auf Signers (oder Colliers?) Behauptung der aktuellen Unplausibilität der so genannt klassischen linken Erklärung: Wieso serviert er sie uns überhaupt? Sie hat mit den dargestellten Lösungsvorschlägen der drei Ökonomen ja gar nichts zu tun, eben weil es Lösungsvorschläge sind und keine Erklärungsversuche. Die Behauptung der Unplausibilität steht ohne Zusammenhang zu den Lösungsvorschlägen und wird durch sie schon gar nicht begründet.

Dazu kommt noch das Moment der Aktualität: Besagte Erklärung sei „heute“ unplausibler denn je. Soll das heissen, sie war früher noch plausibel? Eher meint wohl Signer, dass sie durch die neuesten Einsichten des dialektischen Dreigespanns Sachs, Easterly und Collier überholt ist. Doch liegt der angebliche Prozess des Fortschritts ja gerade nicht in der Ursachenerkenntnis, sondern (wenn überhaupt) in den Lösungsansätzen. Somit bleibt auch auf der zeitlichen Ebene die Unplausibilität unverständlich. Aber das ist noch nicht alles. Signer fährt unmittelbar nach der Unplausibilitätsthese fort: „Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel. Ein Land profitiert, wenn es den andern gutgeht.“ Das ist heute sicher so, da mögen die „renommierten Ökonomen“ Recht haben. Es fragt sich aber, ob es vorher, beim Entstehungsprozess von Armut und Reichtum, auch schon so war. Diese Frage zu beantworten ohne dabei die eigene Verantwortung auszuschliessen, darauf zielt der „klassische linke“ Erklärungsversuch immerhin ab, der hier sehr plump formuliert und stark reduziert ist.

Um die Blossstellung des linken Erklärungsversuchs in den Kontext einzubetten, scheint sich Signer nun auch die politische Polarisierung im Hinblick auf die drei Ökonomen vornehmen zu müssen. So repräsentiert Sachs’ Buch die „Bibel der Linken“, Easterlys Werk wird „gerne von der Rechten ins Feld geführt“ und die Synthese, Colliers Schrift, die Signer am ausführlichsten behandelt, „zeigt, dass auch wenn die Verantwortung für die afrikanische Misere grösstenteils bei den dortigen Eliten selbst liegt, der Westen durchaus Möglichkeiten hat, ‚smart’ zu intervenieren, das heisst nicht primär mit enormen Summen, aber intelligent.“ Wo die Verantwortung liegt ist somit klar – klar somit auch Signers absolut plausible Gegenerklärung zur klassischen linken Erklärung für die Gründe von Armut, Misere und Elend Afrikas.

Bleibt noch die Illustration zu beachten, in der die Botschaft des Artikels doch am meisten durchschimmert: Auf dem Foto vier verlumpte Männer irgendwo in Afrika, darunter steht: „2,3 Billionen Dollar Entwicklungshilfe in fünf Jahrzehnten: Die Unterstützung Afrikas durch den Westen ist eine Tragödie.“

Einige Anmerkungen zum Text: „Hilflosigkeit Schweiz“ von Max Frenkel, (Die Weltwoche, Nr. 45, 8. Nov. 2007, S. 36-37.)

Im Wahlkampf um den Einsitz in den beiden Bundeshauskammern vom vergangenen halben Jahr, ist die Schweiz international negativ in die Schlagzeilen geraten. In den betreffenden Artikeln der europäischen und amerikanischen Presse ging es vornehmlich um die SVP. Bundesrat Christoph Blocher findet nun, dass die Organisation ‚Präsenz Schweiz’, welche für ein positives Image des Bundesstaates im Ausland sorgen soll, versagt, und damit ihrer Existenzberechtigung verloren habe. Der Artikel von Frenkel, welcher das Thema aufgreift, will zwei Dinge zeigen: Ersten, dass Blocher berechtigterweise meint, ‚Präsenz Schweiz’ solle abgeschafft werden. Dass die Organisation aber zweitens, im Gegensatz zu Blochers Annahme, die „Zerrbilder zu den eidgenössischen Wahlen“ nicht hätte verhindern können.

Die Argumentation Frenkels ist simpel. Im ersten Punkt habe der Vorsteher des eidgenössischen Justizdepartements recht, da ‚Präsenz Schweiz’ es tatsächlich nicht geschafft habe, die negativen Medienberichte zu verhindern; was aber nicht nur deren Verschulden gewesen sei, sondern auch an den Schweizer Medien sowie gewissen Politikern, unter anderem den Bundesräten Micheline Calmy-Rey und Pascal Couchepin, gelegen habe. Im zweiten Punkt gehe der SVP-Bundesrat aber fehl, da das „Pseudo-Bundesamt“ grundsätzlich gar nicht die Fähigkeit besitze seine Aufgabe zu erfüllen. Das Fazit welches Frenkel daraus zieht ist, dass die SVP es selbst in die Hand nehmen müsse, für ein positives Image der Schweiz im Ausland zu sorgen. Als stärkste Partei im Land habe sie sogar die Verpflichtung dazu.

Über die begründenden Argumente, die Frenkel aufführt, wie auch über die Schlussfolgerung, die er zieht, lässt sich streiten. Mehr noch: Sie laden dazu regelrecht ein. Vielleicht liegt es ja nicht am Unvermögen der „PR-Agentur“ des Bundes, dass die SVP von den ausländischen Berichterstattern als „Rechtsextrem“ bezeichnet wurde, sondern an dieser, respektive ihren Handlungen selbst. Und ist es denn überhaupt im Interesse der Schweiz, dafür zu sorgen, dass eine fremdenfeindliche Plakatkampagne jenseits der Grenze nicht als das angesprochen wird, was sie ist? Etc.

Doch bevor man sich zu solchen Erwiderungen hinreissen lässt, ist festzuhalten, dass in die Ebene der mehr oder weniger sachlichen Argumentation Frenkels eine zweite Ebene verwoben ist, welche nicht dazu dient, die Meinungen gewisser Personen anzugreifen, sondern diese Personen selbst zu entwerten. Sie zu betrachten ist eben so notwendig, und interessant, wie das Auflisten von Gegenargumenten zu dem, was Frenkel ins Feld führt. Denn sie ist unter anderem der Boden, auf dem, meist unbewusst, Vorurteile entstehen.

Die Strategie Frenkels ist es, Personen, deren Meinungen oder Handlungen im Text als schlecht ausgewiesen werden sollen, durch ein Adjektiv oder einen Nebensatz einzuführen, welches/welcher sie, aus psychischen, fachlichen oder sonstigen Gründen, als ihrer Aufgabe nicht gewachsen vorstellt. Zwei Beispiele: Micheline Calmy-Rey, Bundesrätin und Vorsteherin des Departements für auswärtige Angelegenheiten, welchem ‚Präsenz Schweiz’ angehört, wird von Frenkel als „hysterisch“ geschildert. Die Hysterie ist jene psychische Krankheit, welche Sigmund Freud dazu verleitete die Therapiemethode der Psychoanalyse zu entwickeln. Raphaël Saborit, „EDA-Vertreter“, der, laut Frenkel, Christoph Blocher an einer Veranstaltung von ‚Präsenz Schweiz’ als „Gefahr für die schweizerische Konkordanz“ bezeichnete, wird als ein Mitarbeiter des Bundes vorgestellt, der nicht fähig ist, gewisse Dossiers mit der nötigen Diskretion zu behandeln. Und die Strategie scheint sehr bewusst eingesetzt. In der Ausgabe der Weltwoche von vergangener Woche wurde unter anderem FDP-Präsident Fulvio Pelli, in einem Artikel über Pascal Couchepin, als „Stotterer“, und somit als der Rede unfähig, bezeichnet.

Von guten und schlechten Populisten oder über argumentative Strategien

Es ist nicht einfach herauszulesen, was uns Markus Somm mit seinem Artikel „Prodis Operettenpolitik“ mitteilen möchte. Auf den ersten Blick sowie der Überschrift entsprechend steht der italienische Premierminister Romano Prodi im Zentrum der Überlegungen. Indem dessen neulich ausgerufene Massnahmen für eine schnelle Ausschaffung straftätiger oder als gefährlich einzuschätzender Ausländer – gemeint sind jedoch hauptsächlich Personen rumänischer Staatszugehörigkeit – als „schlechter“ populistischer Akt hingestellt wird, soll der Leser zugleich erfahren, was „wahrer“ Populismus sei.

Schnell wird jedoch deutlich, dass das eigentliche Thema des Artikels nicht Italien als vielmehr die Schweiz ist und dass, kennen wir erst das Wesen des Populismus, wir diesen in seiner schlechten Spielart nach Somm nicht bei der SVP und deren Aushängeschild Christoph Blocher zu suchen haben. Der Artikel spannt also einmal mehr den politischen Dualismus zwischen links und rechts auf, um diesen dann in für die Weltwoche gewohnter Manier einseitig zugunsten der Rechten aufzulösen.

Zur Argumentation
Die Schweiz wird von Somm in die Rolle des „ungeliebten Nicht-EU-Mitglieds“ gedrängt, ein direkter Rückbezug auf die Berichterstattung internationaler Medien über den Wahlkampf der SVP. Eine solche Reaktion der Presse blieb, so die Beobachtung des Autors, im Falle Italiens aus. Dies sei auf Prodis linksliberale Haltung zurückzuführen. Hätte Berlusconi oder die Schweiz zu denselben Massnahmen gegriffen, so wäre das Echo weitaus grösser ausgefallen. Indirekt möchte uns Somm also mitteilen, dass die negativen Reaktionen der internationalen Presse gegenüber der Wahlkampagne der SVP nicht inhaltlich begründet, sondern vielmehr ein Schlag gegen die Rechte als Rechte durch die „linksliberale Presse“ waren.

An der Handlungsweise Prodis könne man nun aufzeigen, was, wie es der Autor nennt, „schlechter Populismus“ sei, nämlich „wenn eine linke Regierung wie jene von Prodi überstürzt Gesetze erlässt – in der Hoffnung, ein verärgertes Volk zu besänftigen.“ Im Gegensatz dazu steht nach Somm die SVP. Wird der Partei im Zusammenhang mit der von ihr lancierten „Ausschaffungsinitiative“ und der dazugehörigen Schäfchen-Kampagne zum Vorwurf gemacht, Populismus zu betreiben, so erfahren wir nun, dass es sich dabei, wenn überhaupt um Populismus, zumindest um keinen „schlechten“ handelt.

Aber was unterscheidet „guten“ von „schlechtem“ Populismus? Somm möchte die Frage dadurch beantworten, dass er aufzeigt, wer die „wahren Populisten“ sind. Es zeige sich nämlich, dass der „schlechte Populismus“ ein Produkt der von der gemässigten Linken bevorzugten repräsentativen Demokratie (wie in Prodis Italien) sei. Darin könnten die Politiker sich über die Wünsche und Nöte der Bevölkerung nach Belieben hinwegsetzen. Zum Handeln seien die repräsentativen Demokraten erst dann gezwungen, so meint Somm, wenn das Fass zu überlaufen drohe und man sich mit überstürzten Gesten, wie der genannte Fall Prodis bestätige, dem Volk entgegenzukommen gewillt zeige.

Anders verhalte es sich in der „direkten Demokratie“, denn darin können die Sorgen der Menschen frühzeitig erkannt und wie es Somm nennt, in die „hohe Politik“ geschleust werden. Hier ist die Quelle des „guten Populismus“ zu suchen und es wird nun auch das wahre argumentative Ziel Somms deutlich. Die „Ausschaffungsinitiative“ der SVP wird damit gerechtfertigt. Sie wird als Musterbeispiels des „guten“ Populisten hingestellt, der die Probleme des Volkes frühzeitig aufgreift.

Was ist eigentlich Populismus?
Indem Somm die Linke als die eigentlichen Populisten im negativen Sinne diskreditiert und die Rechte, insbesondere die SVP, als die Guten darstellt, die auf die Probleme des Volkes eingehen, weil sie dieses mitbestimmen und dadurch seine Sorgen einbringen lassen, verpasst er (oder will bewusst verpassen) den wirklichen Vorwurf des Populismus, dem sich die SVP ausgesetzt sieht. Denn die SVP ist nicht dadurch populistisch, dass sie auf das Volk eingeht und dieses mitbestimmen lassen will. Dies möchte natürlich auch die Linke.

Populismus zeigt sich vielmehr in der Art und Weise, wie man auf die Bevölkerung eingeht und diese für die eigene Sache gewinnen will. Im konkreten Fall der SVP zeigt sich dies insbesondere darin, dass ein an sich sehr komplexes Thema wie dasjenige der Immigration nicht in der ihm entsprechenden Differenziertheit angesprochen wird, sondern lediglich einige nachvollziehbare Lösungsvorschläge geliefert werden. Zudem wird darauf geachtet, dass man die vermeintlich ultimative Problemlösung einfach präsentiert und zwar so, dass gerade die Einfachheit der Lösung in der Art der Präsentation angezeigt ist.

In dieser Weise sind die Schäfchen-Plakate und die dahinter stehende „Ausschaffungsinitiative“ populistisch. Und in diesem Sinne ist auch der Artikel von Markus Somm populistisch, auch wenn er vordergründig eine differenzierte Argumentation aufzuweisen vermag. Dies zeigt sich etwa darin, dass Somm beabsichtigter Weise zwei Mal den Begriff „Zigeuner“ verwendet, anstatt die von ihm damit gemeinte ethnische Gemeinschaft korrekt als „Roma“ zu bezeichnen.

Die Strategie ist leicht nachvollziehbar. Indem man sich nicht an politisch korrekte Aussageweisen hält, zeigt man, dass man die Probleme in derselben Weise angeht, wie sie in der Basis angesprochen werden. Man lässt sich doch von irgendwelchen Intellektuellen nicht vorschreiben, wie man spricht. Man nennt die Dinge beim Namen. In der Weltwoche führt dies derzeit sogar, dies sei nur angemerkt, zu Bemühungen, den Begriff der „Rasse“ zu rehabilitieren.

Indem man jedoch solche Begriffe verwendet, wie etwa den klar negativ konotierten Begriff des Zigeuners, werden nicht nur bestehende Meinungen aufgegriffen und beim Namen genannt, sondern auch Meinungen mitgeschaffen und beeinflusst. Es ist dieser letzte Aspekt der deutlich rassistisches Potential aufweist, indem eine bestimmte Gruppe von Menschen als solche in negativer Weise angesprochen und stigmatisiert wird.

Diese Dimension der Diskriminierung kann dann auch nicht dadurch eliminiert werden, indem man wie Somm einfach darauf hinweist, dass man Ausländer grundsätzlich begrüsst, sind es denn nicht „die Falschen“.

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