Donnerstag, 15. November 2007

Funktionalisierung durch Titel und lead oder die ideologische Brille.

Der mit „Abschied vom Modell des Mitleids“ übertitelte Artikel von Alain Zucker (WW Nr. 46.07) verspricht die übliche Kost. So heisst es im lead: „Während im Schweizer Sozialmissbrauchswesen echte Reformen nicht einmal im Ansatz diskutiert werden, hat in Amerika ausgerechnet der demokratische Präsident Bill Clinton die härteste und einschneidenste Reform der Sozialhilfe durchgesetzt. Der Erfolg ist durchschlagend.“

Es geht mir nun nicht darum, den Text inhaltlich zu diskutieren. Über Modelle und Gegenmodelle von Sozialhilfe müsste mit Fakten gestritten werden. Ich zeige lediglich den Kontrast zwischen Titel und Einleitung und dem Artikel auf.

"Der Erfolg ist durchschlagend." Er ist durchschlagend vor allem dank staatlichen Massnahmen (welche die Weltwoche bekanntlich scheut wie der Teufel das Weihwasser). So heisst es im Text: „Eine wichtige Rolle spielten auch neue positive Arbeitsanreize, die die Reformer als flankierende Massnahmen für Arbeitstätige mit tiefen Einkommen lanciert hatten: Steuergutschriften, ein Ausbau der Kleinkinderbetreuung, je nach Gliedstaat Subventionen für die Krankenversicherung. Die Reform war keine Sparübung, sondern eine Art Umerziehungsprogramm.“

Und Ron Haskins, einer der Initianten des Programms, „redet [...] heute wie einige seiner Gegner von früher, wenn er die Lösungen der Zukunft beschreibt. Einerseits will er mit begleitenden Stützmassnahmen jene Frauen erreichen, die bisher nicht in der Lage waren, einen Job zu behalten. [...] Andererseits fordert er Weiterbildungsprogramme für alleinerziehende Mütter, frühe Schulintegration von jungen Kindern, eine Ausdehnung der Subventionen für Arbeitstätige [...]“.

Es geht also um: Subventionen, noch mehr Subventionen, Kinderkrippen, Integrationsprogramme, Weiterbildungsprogramme. Oder wie der Text sagt: die klassischen „von der Linken so geschätzte staatliche Unterstützung“.

Haskins, schliesst der Text, „redet heute von der ‚Ironie der Sozialhilfereform’: ‚Erst mussten wir das konservative Prinzip der Selbstverantwortung einführen, damit die von der Linken so geschätzte staatliche Unterstützung auch wirklich etwas bringen kann.’“

Selbstverantwortung ist bekanntlich nicht ein konservatives, sondern in liberales Prinzip. Die liberale Reform war aber schon zu Beginn mit flankierenden sozialen Massnahmen ergänzt. Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass diese nicht genügten, und die Initianten rufen nach mehr.

Der Text beschreibt also letztlich ein linksliberales Programm. Titel und lead im üblichen Weltwoche-sound daherkommend, funktionalisieren aber den Artikel für ihren eigenen Zweck. Man fragt sich, wer hier wohl alles durch die immergleiche ideologische Brille sieht.

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