„Zwischen Anmassung und Aufopferung“ (Weltwoche, 8. Nov. 07, S. 62-64)

In diesem Artikel werden drei Bücher vorgestellt, deren Ziel es in erster Linie ist, Lösungsvorschläge für die Behebung der Armut in Afrika und Drittweltländern zu liefern. Ob der Verfasser des Artikels, David Signer, die Thesen der drei Autoren Sachs, Easterly und Collier sowie deren Anliegen adäquat wiedergibt, mag dahingestellt sein. Hervorgehoben und in Frage gestellt werden soll hier vielmehr die – übrigens das gesamte Magazin durchtriefende – Tendenz zur Polarisierung in linke und rechte Gesinnung.

Es lohnt sich dabei, das zu untersuchen, was zuerst ins Auge springt: Titel mit Untertitel, Illustration, Hervorhebungen im Text. In ihnen kommt am deutlichsten zum Ausdruck, welchen Eindruck der Artikel auf die LeserInnen machen soll, was die Absicht und der Beweggrund des Verfassers (bzw. der Redaktion) sein soll, kurz: welche Wirkung der Artikel haben soll.

Im Untertitel wird „nach Gründen für das Elend in Afrika“ gefragt und gesagt, dass drei „renommierte Ökonomen“ in ihren Antworten „zu ganz unterschiedlichen Schlüssen“ kommen. Schön und gut. Doch was Signer nun mit Bezug auf die drei Ökonomen vorführt, das sind keine „Gründe für das Elend in Afrika“, sondern Lösungsvorschläge, um genanntes Elend zu beheben. Da steht auf der einen Seite Sachs’ „These“, Afrika sei nur mittels finanzieller Hilfe aus der Misere zu ziehen. Von der anderen Seite her trotzt Easterlys „Antithese“, dass jegliche finanzielle Entwicklungshilfe die Lage nur verschlimmere. Die Gegensätze überbrückt die „Synthese“ Colliers, es brauche sowohl Geldhilfe, als auch andere Massnahmen. Ohne tiefer in Signers Darstellung der sich dialektisch gegenüberstehenden Einsichten eintauchen zu müssen, ist offensichtlich, dass damit kaum „Gründe“ für die Armut Afrikas aufgezeigt werden. Selbst dort wo Signer meint, Gründe anzugeben, handelt es sich kaum um Erklärungen des Ursprungs von Armut: Es werden weder innere Dispositionen, noch äussere Ursachen verortet, die das Entstehen der Armut bedingt haben mögen. Dazu ein Beispiel aus dem Artikel: „Der springende Punkt ist für Sachs die Armutsfalle: Armut selbst ist die Hauptursache für Armut.“ Was soviel erklärt wie: Die Krümme der Banane ist die Hauptursache für die Krümme der Banane. – Zwischen Untertitel und Inhalt liegt ein unüberbrückbarer Graben.

Kommen wir auf die genannte Polarisierung zurück. Der Artikel wird von zwei Hervorhebungen durchbrochen, wovon uns die erste interessiert. Sie lautet: „Die klassische linke Erklärung – ‚Sie sind arm, weil wir reich sind’ – ist heute weniger denn je plausibel.“ Es sei nochmals der Argumentationsgang Signers vergegenwärtigt: Er fragt nach Gründen für die Armut in Afrika, gibt aber weder selbst, noch in seiner Darstellung der drei ökonomischen Sichtweisen eine Erklärung dafür, sondern bringt lediglich deren Lösungsansätze zur Schau. Wir warten also immer noch auf Erklärungen, bis uns Signer plötzlich und endlich die „klassische linke“ auftischt. Und bei diesem amuse bouche bleibt es dann leider auch. Ein weiterer Graben tut sich auf, oder geradezu ein Loch im Bauch. Verständnislos blicken wir auf Signers (oder Colliers?) Behauptung der aktuellen Unplausibilität der so genannt klassischen linken Erklärung: Wieso serviert er sie uns überhaupt? Sie hat mit den dargestellten Lösungsvorschlägen der drei Ökonomen ja gar nichts zu tun, eben weil es Lösungsvorschläge sind und keine Erklärungsversuche. Die Behauptung der Unplausibilität steht ohne Zusammenhang zu den Lösungsvorschlägen und wird durch sie schon gar nicht begründet.

Dazu kommt noch das Moment der Aktualität: Besagte Erklärung sei „heute“ unplausibler denn je. Soll das heissen, sie war früher noch plausibel? Eher meint wohl Signer, dass sie durch die neuesten Einsichten des dialektischen Dreigespanns Sachs, Easterly und Collier überholt ist. Doch liegt der angebliche Prozess des Fortschritts ja gerade nicht in der Ursachenerkenntnis, sondern (wenn überhaupt) in den Lösungsansätzen. Somit bleibt auch auf der zeitlichen Ebene die Unplausibilität unverständlich. Aber das ist noch nicht alles. Signer fährt unmittelbar nach der Unplausibilitätsthese fort: „Wirtschaft ist kein Nullsummenspiel. Ein Land profitiert, wenn es den andern gutgeht.“ Das ist heute sicher so, da mögen die „renommierten Ökonomen“ Recht haben. Es fragt sich aber, ob es vorher, beim Entstehungsprozess von Armut und Reichtum, auch schon so war. Diese Frage zu beantworten ohne dabei die eigene Verantwortung auszuschliessen, darauf zielt der „klassische linke“ Erklärungsversuch immerhin ab, der hier sehr plump formuliert und stark reduziert ist.

Um die Blossstellung des linken Erklärungsversuchs in den Kontext einzubetten, scheint sich Signer nun auch die politische Polarisierung im Hinblick auf die drei Ökonomen vornehmen zu müssen. So repräsentiert Sachs’ Buch die „Bibel der Linken“, Easterlys Werk wird „gerne von der Rechten ins Feld geführt“ und die Synthese, Colliers Schrift, die Signer am ausführlichsten behandelt, „zeigt, dass auch wenn die Verantwortung für die afrikanische Misere grösstenteils bei den dortigen Eliten selbst liegt, der Westen durchaus Möglichkeiten hat, ‚smart’ zu intervenieren, das heisst nicht primär mit enormen Summen, aber intelligent.“ Wo die Verantwortung liegt ist somit klar – klar somit auch Signers absolut plausible Gegenerklärung zur klassischen linken Erklärung für die Gründe von Armut, Misere und Elend Afrikas.

Bleibt noch die Illustration zu beachten, in der die Botschaft des Artikels doch am meisten durchschimmert: Auf dem Foto vier verlumpte Männer irgendwo in Afrika, darunter steht: „2,3 Billionen Dollar Entwicklungshilfe in fünf Jahrzehnten: Die Unterstützung Afrikas durch den Westen ist eine Tragödie.“

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