Karl Marx oder das „weiblich-mütterliche“ Wesen (Köppels Tagebuch)
Sigmund Freud, der die weibliche Psyche 1933 als ein "dark continent“ bezeichnete, hat in Roger Köppel einen würdigen Nachfolger gefunden. So schreibt er in seinem dieswöchigen Tagebuch (WW Nr. 45.07, S. 74), vom „Rätsel der linken Frauen“. Schauen wir uns doch mal sein erster Versuch an, zu verstehen, warum „Schweizer Frauen [...] viel deutlicher links und ökologisch als die Männer [wählten]“.
Schweizer Frauen („vor allem in begüterten und gutausgebildeten Kreisen“), so habe eine neue Studie ergeben, ‚driften’ massiv nach links; Schweizer Männer hingegen ‚entwickeln’ sich nach rechts. In dieser ersten vermeintlich neutralen Beschreibung des Sachverhalts fliesst das klassische Bild des Mannes als aktiv (entwickeln) und der Frau als passiv (driften) ein.
„Warum sind Frauen so links?“ wird weitergefragt. Zunächst wird eine These aufgestellt, dann eine Gegenthese. Es wird also die klassisch linke Methode der Dialektik angewandt. Und folgerichtig geht die Argumentation dann auch gleich los mit einer These von Karl Marx:
„Wenn Sein tatsächlich das Bewusstsein bestimmt“ (Köppels Paraphrase von Marx), heisst es, dann sind Frauen links, weil “sich Frauen weniger intensiv als Männer um die marktwirtschaftliche Sicherung ihrer Existenz bemühen müssen.“ Wir lernen daraus: wessen Sein dadurch bestimmt ist, sich um die „marktwirtschaftliche Sicherung“ seiner Existenz kümmern zu müssen, kann kein linkes Bewusstsein haben.
Marx vertrat bekanntlich die Position, dass „marktwirtschaftliche Situation“ der Arbeitenden verändert werden sollte, dass aber das Bewusstsein der Arbeitenden von gerade dieser Situation (ihrem Sein) so bestimmt sei, dass diese menschengemachte Situation ihnen als natürlich gegebene Realität erschien. Wie Marx sich ausdrückt: „Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“
Nimmt man also das Argument ernst, welches Köppel hier benutzt, so führt sie zur Schlussfolgerung, dass wer rechts wählt, sich der Realität unterworfen sieht, statt zu merken, dass er es ist, welche diese erst schafft und dass er sie also auch verändern kann.
Aber Köppel verfolgt nicht diese Linie. Es geht vielmehr mit einem Potpourri von Argumenten weiter: „Wie die Linke generell sind auch Frauen durchaus geübt darin, Geld auszugeben, das andere zuvor verdient haben. Viele Frauen arbeiten beim Staat oder werden von ihren Männer ausgehalten. Da kann einem der Sinn für die materiellen Grundlagen des Lebens abhanden kommen.“
- Linke Frauen geben Geld aus, welches sie nicht verdient haben. Linke Frauen, hiess es oben, sind meistens ‚begütert’. Also zunächst mal ein weiteres klassisches linkes Argument: Die Reichen leben von der Arbeit anderer.
- Aber nein: Linke und Frauen arbeiten beim Staat und sind insofern „geübt darin, Geld auszugeben, das andere zuvor verdient haben“. Frauen (und Linke) arbeiten schon, aber beim Staat. Und wer beim Staat arbeitet, der ‚arbeitet’ offenbar nicht wirklich, sondern gibt nur Geld aus.
- Aber es geht weiter: viele Frauen, so Köppel, werden, wenn sie nicht gerade für den Staat Geld ausgeben, „von ihren Männern ausgehalten“. Frauen sind also entweder Luxusgeschöpfe, welche den lieben langen Tag lang einkaufen und sich die Haare schneiden lassen, oder sie sind beim Staat tätig, wohl als Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Köppel schlägt hier wieder den Bogen zum einleitenden altertümlichen Fraubild und den zwei klassischen Rollen der Frau.
Dann folgt die Gegenthese: „Viele Frauen denken realistischer und weniger ideologisch als Männer, was einer Linksneigung widerspräche.“ Die „Linksneigung“, welche oben durch die wirtschaftliche Situation der Frauen erklärt wurde, widerspricht der weiblichen Natur, realistisch und unideologisch zu denken. Wir lernen: Links = ideologisch und unrealistisch. Politische Positionierung also ist keine Haltung, sondern offenbar eine Wissenschaft: schaut man die Realität an, kann man nicht links sein.
Wie kommt es aber, dass die Frauen, die realistisch und unideologisch sind, trotz allem links sind? Das ist offenbar nur durch eine Schwäche zu erklären, die in ihrer Natur liegt: „Das Soziale mag in der Natur des weiblich-mütterlichen Wesens liegen". Aber keine Angst: „es gibt auch den Typus der Silvia Blocher, der politisch härter am Wind segelt als mancher Ehemann.“
Letztendlich stehen wir aber nach dieser freien Assoziation, die fröhlich Karl Marx, ein reaktionäres Frauenbild, den Topos der faulen Beamten und die Idee, dass rechte Haltung die einzige der Realität angemessene sei zusammenbringt, noch immer vor dem "Rätsel der linken Frauen".
Ist aber vielleicht Roger Köppels Tagebuch eher ein Traumtagebuch? Träume sind sehr bedeutsam, wie Freud meinte, aber sind nie das, was sie zunächst zu sein scheinen.
Schweizer Frauen („vor allem in begüterten und gutausgebildeten Kreisen“), so habe eine neue Studie ergeben, ‚driften’ massiv nach links; Schweizer Männer hingegen ‚entwickeln’ sich nach rechts. In dieser ersten vermeintlich neutralen Beschreibung des Sachverhalts fliesst das klassische Bild des Mannes als aktiv (entwickeln) und der Frau als passiv (driften) ein.
„Warum sind Frauen so links?“ wird weitergefragt. Zunächst wird eine These aufgestellt, dann eine Gegenthese. Es wird also die klassisch linke Methode der Dialektik angewandt. Und folgerichtig geht die Argumentation dann auch gleich los mit einer These von Karl Marx:
„Wenn Sein tatsächlich das Bewusstsein bestimmt“ (Köppels Paraphrase von Marx), heisst es, dann sind Frauen links, weil “sich Frauen weniger intensiv als Männer um die marktwirtschaftliche Sicherung ihrer Existenz bemühen müssen.“ Wir lernen daraus: wessen Sein dadurch bestimmt ist, sich um die „marktwirtschaftliche Sicherung“ seiner Existenz kümmern zu müssen, kann kein linkes Bewusstsein haben.
Marx vertrat bekanntlich die Position, dass „marktwirtschaftliche Situation“ der Arbeitenden verändert werden sollte, dass aber das Bewusstsein der Arbeitenden von gerade dieser Situation (ihrem Sein) so bestimmt sei, dass diese menschengemachte Situation ihnen als natürlich gegebene Realität erschien. Wie Marx sich ausdrückt: „Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“
Nimmt man also das Argument ernst, welches Köppel hier benutzt, so führt sie zur Schlussfolgerung, dass wer rechts wählt, sich der Realität unterworfen sieht, statt zu merken, dass er es ist, welche diese erst schafft und dass er sie also auch verändern kann.
Aber Köppel verfolgt nicht diese Linie. Es geht vielmehr mit einem Potpourri von Argumenten weiter: „Wie die Linke generell sind auch Frauen durchaus geübt darin, Geld auszugeben, das andere zuvor verdient haben. Viele Frauen arbeiten beim Staat oder werden von ihren Männer ausgehalten. Da kann einem der Sinn für die materiellen Grundlagen des Lebens abhanden kommen.“
- Linke Frauen geben Geld aus, welches sie nicht verdient haben. Linke Frauen, hiess es oben, sind meistens ‚begütert’. Also zunächst mal ein weiteres klassisches linkes Argument: Die Reichen leben von der Arbeit anderer.
- Aber nein: Linke und Frauen arbeiten beim Staat und sind insofern „geübt darin, Geld auszugeben, das andere zuvor verdient haben“. Frauen (und Linke) arbeiten schon, aber beim Staat. Und wer beim Staat arbeitet, der ‚arbeitet’ offenbar nicht wirklich, sondern gibt nur Geld aus.
- Aber es geht weiter: viele Frauen, so Köppel, werden, wenn sie nicht gerade für den Staat Geld ausgeben, „von ihren Männern ausgehalten“. Frauen sind also entweder Luxusgeschöpfe, welche den lieben langen Tag lang einkaufen und sich die Haare schneiden lassen, oder sie sind beim Staat tätig, wohl als Lehrerinnen und Kindergärtnerinnen. Köppel schlägt hier wieder den Bogen zum einleitenden altertümlichen Fraubild und den zwei klassischen Rollen der Frau.
Dann folgt die Gegenthese: „Viele Frauen denken realistischer und weniger ideologisch als Männer, was einer Linksneigung widerspräche.“ Die „Linksneigung“, welche oben durch die wirtschaftliche Situation der Frauen erklärt wurde, widerspricht der weiblichen Natur, realistisch und unideologisch zu denken. Wir lernen: Links = ideologisch und unrealistisch. Politische Positionierung also ist keine Haltung, sondern offenbar eine Wissenschaft: schaut man die Realität an, kann man nicht links sein.
Wie kommt es aber, dass die Frauen, die realistisch und unideologisch sind, trotz allem links sind? Das ist offenbar nur durch eine Schwäche zu erklären, die in ihrer Natur liegt: „Das Soziale mag in der Natur des weiblich-mütterlichen Wesens liegen". Aber keine Angst: „es gibt auch den Typus der Silvia Blocher, der politisch härter am Wind segelt als mancher Ehemann.“
Letztendlich stehen wir aber nach dieser freien Assoziation, die fröhlich Karl Marx, ein reaktionäres Frauenbild, den Topos der faulen Beamten und die Idee, dass rechte Haltung die einzige der Realität angemessene sei zusammenbringt, noch immer vor dem "Rätsel der linken Frauen".
Ist aber vielleicht Roger Köppels Tagebuch eher ein Traumtagebuch? Träume sind sehr bedeutsam, wie Freud meinte, aber sind nie das, was sie zunächst zu sein scheinen.
m.w.f. - 8. Nov, 18:31
Unverständnis
Ganz recht. Aber.
Andererseits aber: weiss es wirklich jeder? Das ist doch gerade das erstaunliche: das die Weltwoche "eine junge, 'gut ausgebildete' Leser/innenschaft anspricht".
Warum?
Merken sie nicht, was da steht? Teilen sie etwa die in der Weltwoche vertretenen Ansichten? Kümmert es sie gar nicht? Ist es einfach deswegen spannend, weils provokant ist? Liest man es als Realsatire?